Als Extra und Darstellerin in Film und TV: u.a. 2012 Stilettos für Polanski, 2013 als weinende Frau in einem Rosenstolz-Musikvideo, dann für TV/Kino 2015 mit Hackenporsche für Andreas Kleinerts "Die Frau von früher" unterwegs, 2016 Psychopathin in "8Seconds"/Kino, gen Weihnachten in einem deutschen Blockbuster hinter den vier teutonischen Hauptdarstellern hin und her schwebend (evt. geeignet als zeit- und ziellose Dauerinstallation), 2017 als ein Unrat verschüttendes Schandmaul für Terra X/ZDF, später Mutter in "Dream City" (Short-List für Kurz-Spielfilme Max Ophüls-Preis 2019), vorher jedoch noch SPD-Parteisekretärin (ohne Wahlrecht 1919) in "Kaisersturz", ZDF 2018 oder nur
SCHWENKFUTTER (im Feuilleton der Berliner Zeitung 2004)
Von einer der unerhörten Begebenheiten in meinem kleinen Leben möchte ich eines Tages künftigen Generationen erzählen. Dafür werden wir auf dem ehemaligen Rollfeld des Flughafens Tempelhofs stehen müssen, der übrigens schon 2009 zum letzten Raucherpark Deutschlands umgewandelt wurde.
Erzähl, erzähl, werden alle rufen, und ich muss für den Ortstermin ein wichtiges Gesicht aufsetzen.
Hier, werde ich sagen, während ich mir schnell noch eine anstecke und mit großer Geste in Richtung ehemaliger Hangar deute, hier stand er damals. Unser Til. Til Schweiger. Da mich viele verständnislos ansehen werden, werde ich etwas ausholen müssen. Der wurde noch in den Neunzigern von gewissen Medien zum attraktivsten Mann Deutschland gekürt, werde ich erläutern und mein Gesicht noch wichtiger aussehen lassen. Dass das den meisten von uns völlig egal war, werde ich lieber verschweigen. Schließlich hatten viele schon die Aerobicwelle der Achtziger ohne Sehnenzerrung überlebt. Warum nicht auch die penetranten Auswüchse der Neunziger, selbst mit Bandscheibenvorfall.
Wir waren damals als Komparsen in Tempelhof gebucht, billige Statisterie für später digital aufgepolsterte Massenszenen im Film. Solch biologisches Ursprungsmaterial benötigte man seinerzeit noch oft in den original historischen Kulissen. Und Til Schweiger spielte in "Joe und Max" einen Boxer oder etwas in der Art. Bestimmt herzensgut und sonst auch ein ganzer Kerl. Genau wie wir Raucher heutzutage, war er im Film in die falsche Zeit und ihre Verstrickungen geraten. Gerade auf dem Rollfeld Tempelhof gelandet und schon von Nazigrößen herzlichst empfangen. Und wir?
Wir waren Schwenkfutter für die Kamera, damals, kurz vor der Jahrtausendwende. Es sparte Zeit und Drehmaterial, ein paar in historische Kleidung gewandete Leute im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit gut zu plazieren. Stundenlang hatten wir im gleißenden Mailicht auf dem Rollfeld gewartet oder waren marschiert. Beim Film wartete man damals ja immer, besonders bei diesen Außendrehs. Dass Wetter und Licht stimmten und überhaupt. Das Licht stimmte seinerzeit. Wir hatten geprobt und stimmten demzufolge auch. Endloser Jubel und endlose Hitlergrüße und überhaupt. Und als es endlich losging, fuhr unser Til in einer Limousine, von Nazigrößen und einer Blondine gerahmt, vor uns auf und ab. Wir jubelten und hielten den Arm hoch, was das Zeug hielt. Was es dann war.
Ach, werden meine Zuhörer im Jahr 2015 sagen, ist ja wirklich unerhört.
Ich werde etwas nervös werden. Ob ich vom Sonnenbrand erzähle, den ich eher infolge des Außendrehs als von Herrn Schweigers gleißender Schönheit bekam? Nein. Ich beschließe, deutlicher zu werden.
Wir durften übrigens nicht rauchen, werde ich sagen und eine viel sagende Pause machen. Eben Flughafen, Sicherheitsbestimmungen früher, alles klar? Und deshalb war die Produktionscrew ein Ausbund an schlechter Laune gewesen und der Film demzufolge ein Flopp. Außerdem hatte uns Komparsen der rechte Arm nach x-Wiederholungen auf dem Rollfeld stark gezittert. Rätselhaft, wie die Nazis mit einem derart die Muskeln strapazierenden Gruß an die Macht kommen konnten.
Aber ich habe dem seinerzeit schönsten Mann Deutschlands zugejubelt, werde ich erzählen, sogar mit Nazigruß und Blumen. Und meine Stimme wird lauter und etwas schrill werden.
Was mir insgeheim herzlich egal sein kann. Weder wollte ich ein Kind von Til Schweiger noch Eis mit ihm essen. Ich wollte einfach mal etwas anderes tun. Ich will schließlich etwas zu erzählen haben.
Aber plötzlich bekomme ich Angst, im Jahr 2015 auf dem ehemaligen Rollfeld vom Flughafen Tempelhof, im letzten Raucherpark des Landes, in meinem Text hängen zu bleiben. Angesichts all der perfekt gestrafften Putten vor mir grandios zu scheitern und an einer Silikon geschwellten Brust anzuecken. Die modernen Schönheitsoperationen setzten die Fruchtbarkeit anderer genauso wie seinerzeit das Rauchen herab. Denn sie können angesichts ihres Anblicks sofortige Frigidität und andere böse Beeinträchtigungen auslösen. Und wir anderen sind nicht mehr viele.
Ihr Lieben, wir waren wirklich nur Schwenkfutter, werde ich lauthals beteuern. Ich habe mit nichts etwas zu tun gehabt, werde ich flüstern. Ich habe keine Schuld. Ich werde mich räuspern müssen. Eben Schwenkfutter, sonst nichts.
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